Zagreb, Beginn des ersten Kapitels:

 

Die Begegnung

 

Es war ein schöner Morgen. Wir machten vier Leute
kalt.
Wir hatten uns in dieser verfallenen Fabrik eingerichtet,
die Basis nannten wir sie. Früher wurden hier
italienische Autos hergestellt, jetzt aber benutzten wir
die Büros im Erdgeschoss als Zellen für die Gefangenen,
die Kantine für die Hinrichtungen und die Küchen
als Lagerräume für das knapp werdende Essen.
An dem Morgen brachten wir die vier in die Kantine.
Der Raum war leer, Tische und Stühle waren über
die Winternächte zu Kaminfutter geworden. Durch
ein großes Fenster an der Längswand fiel Licht herein;
gegenüber hatten wir aus dem Holz, das vom
Feuer verschont geblieben war, unsere kleine Bühne
gezimmert.
Das war der Ort, wo sie starben.
Die Frau schien keine Angst zu haben, trug eine unerklärliche
Gelassenheit zur Schau, wirkte fast fröhlich.
Die drei Männer hingegen, abgemagert und mit
verschiedenen Verletzungen, waren schon tot, bevor
sie wirklich starben. Unter ihnen Ivo: jung, vielleicht
zwanzig, ein dichter Bart im Gesicht, wenige lange
Haare fielen ihm auf die schmalen Schultern. Auf
der Brust hatte er dieses Schild, klein, aber gut sichtbar
standen darauf in unsicherer Schrift: Name, Nationalität,
Religion.
Ivo war einer von ihnen und war stolz darauf.
Ivo war einer von ihnen und gehörte kalt gemacht.
An dem Morgen erledigten wir ihn als Ersten. Auf
den Befehl des Kommandanten nahmen wir unsere
Positionen als Scharfrichter ein: Mit den Waffen in
der Hand traten wir grinsend in einer Reihe nebeneinander
an.
Noch nie war es vorgekommen, dass ein Gewehr
blockierte.
Noch nie war es vorgekommen, dass einer einen
Fehler machte.
Noch nie war es vorgekommen, dass ein Gott, welcher
auch immer, eine Überschwemmung, einen
Sturm, ein Erdbeben entfesselt hätte.
Und so flutschten die Hinrichtungen durch ohne
Zwischenfälle.
Langweilig: anlegen, zielen, schießen.
Unterhaltsam: anlegen, zielen, schießen.
Im Grunde immer das Gleiche: anlegen, zielen,
schießen.
Die Frau war dran. Nach Ivos Tod stieg sie sofort
nach oben auf die Plattform, wo sie sich dem eisernen
Erschießungskommando gegenüber sah. Wir
waren schussbereit, der Kommandant brauchte
nur zu nicken. Haare und Bart leicht ergraut, eine
schlecht angezündete Kippe im Mundwinkel. Der
Kommandant war ein gerechter Mann, gewährte jedem
seinen letzten Wunsch, genau wie im Film.
„Bringt mich um“, antwortete die Frau, als sie gefragt
wurde. „Mein Mann und meine Kinder warten
auf mich. Bringt mich um, so schnell es geht.“
Es war schon Mittag, als wir mit dem letzten Gefangenen
fertig waren. Er hatte schweigend gewartet,
bis er an der Reihe war, hatte das Ende seiner Vorgänger
zwanghaft beobachtet. Dabei hatte er sich
die genaue Abfolge der Bewegungen eingeprägt,
die sein Körper ausführen musste: erst der rechte
Fuß, dann der linke, die drei Stufen hoch; vor dem
Kommando aufstellen; die Frage des Kommandanten
abwarten; vor allen seinen letzten Wunsch
enthüllen und schließlich warten, warten, dass das
Schicksal seinen Lauf nehmen würde.

Der letzte Gefangene hatte das alles perfekt gemacht.
Bucklig stand er vor uns und schaukelte vor und
zurück wie ein Affe. Er trug einen dunklen Anzug
mit einem weißen Hemd und blauer Krawatte. Man
hätte ihn als elegant bezeichnen können, wenn da
nicht die roten Blutflecken gewesen wären. Irgendwie
bissen sie sich mit der Farbe des Hemdes. Der
Kommandant stand zwischen Bühne und Fenster
und beäugte ihn neugierig.
„Wie hast du dich denn angezogen, Opa?“, fragte er
und ließ durchscheinen, dass er sich ekelte vor diesem
Alten, der zu elegant war für unser ungehobeltes
Erschießungskommando. „Also, was sind deine
letzten Worte?“, fügte er hinzu, nachdem er auf eine
Antwort gewartet hatte, die nicht kam.
Und der Opa, vielleicht war er verwirrt, hatte Angst
oder wusste wirklich nicht, was ihm gleich bevorstand,
fragte: „Ach bitte, könnte ich einen neuen Anzug
bekommen?“
Wir brachen in Gelächter aus, wie es uns seit Ewigkeiten
nicht passiert war. Unbeweglich zog der
Kommandant drei Mal tief an seiner Zigarette und
brachte uns dann mit einem Handzeichen zum
Schweigen. Dann wandte er sich dem Alten zu und
sagte freundlich: „Aber sicher doch, Opa! Die Kleider
sind dort drüben, funkelnagelneu!“ Er wies auf
die linke Ecke der Bühne, wo ein paar Lumpen lagen,
die ihnen gehört hatten. „Geh nur, bedien dich
ruhig!“
Der Opa lächelte ihn an, wobei er eine erbärmliche
Zahnreihe entblößte. Als der Kommandant sein Lächeln
erwiderte, dachte ich für einen Moment, dass
ein Gott, welcher auch immer, auf die Erde hinabgestiegen
und in den Körper des Kommandanten
gefahren sei. Und dass er den Gefangenen vielleicht
verschonen würde. Aber wie gesagt, so etwas ist nie
passiert. Und tatsächlich, sobald der Opa auch die
letzte Stufe hinaufgestiegen war, stieß der Kommandant
die Worte hervor, die ich für die schönsten
hielt.
„Anlegen! Zielen! Schießen!“
Und wir legten an, zielten und schossen.

 

[...]